Wolfgang Winkler

Symphonischer Reizhusten

Tussis symphonicus nervosus

21. 12 2010

Er ist ein seltsames und doch sehr bekanntes Phänomen des Konzertsaales.
Im Gegensatz zum gewöhnlichen Reizhusten, der meist eine Verkühlung ankündigt oder andere rein körperliche Ursachen hat und natürlich auch im Konzertsaal, speziell im Winter, vorkommen kann, deutet der symphonische Reizhusten auf eine gespannte Psyche des Konzertbesuchers hin. Was kommt im Programm auf mich zu?
Bartok und Schostakowitsch zum Beispiel.
Beides Komponisten, die im 20 Jahrhundert komponiert haben und deren Werke man nicht genau kennt. Sie stehen grundsätzlich, wie nahezu alle Musik des 20. Jahrhunderts, im Verdacht der Nähe  zu Zwölftonmusik oder anderer, nicht gewohnter harmonischer Musik.
Mit anderen Worten, es könnte eine Strapaze für die Ohren entstehen.
Diese Angst, diese Sorge schafft Spannung im Körper des Zuhörers, die nach Lösung strebt.
Dazu kommt, dass man den Dirgenten auch nicht kennt. Wie ist er, was und wie macht er es?
Ein weiteres Moment der Spannungssteigerung.

Das Konzert beginnt. Im ersten Satz des ersten Stückes gelegentliche. Zwischenhuster.
Die erste Satzpause allerdings ist der Zeitpunkt, kaum hat der Dirgent seine Arme sinken lassen, zu einer orgiastischen Lösung von Tussis symphonicus nervosus. Irgendwann muss die Spannung ja schließlich heraus. Es war ja gar nicht so schlimm, eigentlich ganz gut zu hören, eigentlich spannend.
Trotz des keimenden Verdachtes der Qualität des Konzertes wiederholt sich dieser Vorgang bis zum Ende des Stückes, um dann in einen durchaus akzeptablen Applaus zu münden, der sicherlich nicht nur von der Qualität der Komposition und Aufführung, sondern auch von Erleichterung getragen ist. Es entstehen leichte Anzeichen, dass man sich auf dieses Konzert doch seelisch einlassen könnte.
Erst wenn sich auch das zweite Werk des Abends als hörbare und exzellente Musik erwiesen hat, verschwindet Tussis s.n. als wäre er nie da gewesen und macht breiter Freude Platz.

Klinisch gesehen unterschiedet man verschiedene Arten von Personen, die von Tussis s.n. befallen sind:

Der Pausenhuster:
hält sich streng an Satzpausen. Was er innerhalb der Sätze mit sich macht, ist nur erahnbar.

der Undisziplinierte:
lässt sein Gefühlen und damit auch seinem Husten freien Lauf ohne Rücksicht  auf die innere Ordnung der Musik.

der Disziplinierte:
er hustet nur im Forte.

der musikalische Barbar:
er hustet nur in Pianissimostellen, quasi als Terrorist gegen die Musik und alle anderen Konzertbesucher.

Diese unterschiedlichen Typen treten bei Musik, die sie zu kennen glauben, wenigstens aber schon einmal gehört haben, nicht oder kaum auf. Wenn ja liegt der Verdacht der Verkühlung nahe.

Mein Vorgänger, Dr Schlee, entschuldigte sich einmal untertänigst und das Publikum beschimpfend, bei Pierre Boulez für einen lauten Huster an der scheinbar falschen Stelle. Das Werk hatte eine große Spannung aufgebaut,  um schließlich in einem großen Höhepunkt  mit anschließender Stille zu enden. Und genau da hat es einen Besucher förmlich zerrissen.
Boulez meinte nur freundlich schmunzelnd: "ich bitte sie, wo sonst hätte der Mann husten sollen. Musikalisch war das einwandfrei.
Kompliment."

So zu sagen, eine Sonderform: der musikalisch Versierte im Einklang mit Rythmus und Harmonie.

Ihr Kommentar in meinem Gästebuch....

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